Hier meine angekündigte Besprechung zum aktuellen Kinofilm "Blade Runner 2049". Da es fast unmöglich ist, nicht genauer auf den Inhalt einzugehen, gilt für alle Interessierten eine Spoilerwarnung!
Mit Blade Runner 2049 liefert Regisseur Denis Villeneuve ("Arrival") die Fortsetzung des kultigen Sci-Fi-Klassikers aus dem Jahr 1982. Der Regisseur des Vorgängers, Ridley Scott, fungierte hierbei lediglich als Executive Producer, was man nach seinem letzten Machwerk "Alien: Covenant" eigentlich nur begrüßen kann. Ein gutes Händchen für Fortsetzungen jahrzehntealter Erfolgsreihen konnte man dem früheren Kultregisseur wahrlich nicht bescheinigen. Umso größer waren die Erwartungen an Villeneuve, der mit "Arrival" einen wirklich sehr guten SciFi-Film gedreht hatte. Der macht seine Sache auch hier wieder handwerklich tadellos und beweist erneut, dass er zu den großen aufstrebenden Regisseuren unserer Zeit gehört. Trotzdem überzeugt mich der neue Blade Runner nicht so recht und ist als Fortsetzung sogar eine Enttäuschung.
Schöne neue, alte Welt! Zurecht wird der Film international für seinen hohen Produktionsstandard gelobt, denn Villeneuve weiß, wie man eindrucksvolle Bilder und Panoramen einfängt. Natürlich sucht der Film akribisch visuelle Anknüfungspunkte an seinen großen Vorgänger, der geradezu detailverliebt war. Das gelingt teilweise erstaunlich gut, während man an anderen Stellen doch wieder deutlich abweicht. Eines der tragenden Stilelemente des '82er Blade Runner war die fast ständige regenerische Dunkelheit des postapokalyptischen Los Angeles. Schon die Anfangsszene von "2049" bricht damit geradezu radikal: Wir sehen "Officer K" bei einem Auftrag als Replikantenjäger in hellem Tageslicht auf einer Eiweißfarm in einer wüstenähnlichen Einöde. Officer K ist natürlich Blade Runner wie sein Vorgänger vor 30 Jahren, doch im Gegensatz zu damals haben sich einige Dinge verändert. "K" ist nämlich selbst Replikant und macht Jagd auf seine widerspenstigen Artgenossen, von denen es nach Jahrzehnten offenbar noch jede Menge gibt. Sollten die mittlerweile nicht alle längst ausgestorben sein? Macht man damit nicht den Bock zum Gärtner? Nach einer Weile kommt die Erklärung: Officer K gehört einer neuen, loyalen "Baureihe" der genetisch designten Replikanten an, die in dieser düsteren Zukunft weiterhin für die Drecksarbeiten herhalten müssen. Seine Jagd gilt den unzuverlässigen älteren Modellen ohne Lebensdauerbegrenzung, die noch aus der Zeit der früheren Tyrell Corporation stammen. Inzwischen existiert der Megakonzern nicht mehr, sondern wurde nach dem Konkurs vom Industriemagnaten und Genetikdesigner Niander Wallace übernommen. Dieser baut weiterhin an treuen Dienern der Menschheit, die er zur Stablisierung ihrer Psyche mit künstlichen menschlichen Erinnerungen austatten lässt. Die Frage nach der Identität des Protagonisten ist in "2049" also von vornherein geklärt. Doch allzu sehr unterscheidet sich Officer K gar nicht vom früheren Blade Runner Deckard. Beide sind klassische Noir-Einzelgänger, die nach einem schmutzigen Arbeitstag in ihre düsteren Appartments zurückkehren. Während es sich Deckard im Vorgänger gerne mal mit einer Flasche Whiskey auf dem Sofa bequem machte, flirtet Officer K stattdessen mit seiner holografischen Freundin und spendiert ihr als Upgrade à la ST Voyager eine mobile Projektoreinheit, damit sie nicht mehr auf die 15 Quadratmeter zwischen Küche und Esstisch (hier bitte feministischen Twitter-Shitstorm einfügen) beschränkt ist. Als K auf der Eiweißfarm schließlich die Gebeine einer Replikantin exhumieren lässt, fördert die forensische Untersuchung unglaubliches zutage: sie war schwanger. K erhält den Auftrag, das vor knapp 30 Jahren geborene Kind zu finden und zu liquidieren, damit der Fall niemals an die Öffentlichkeit gelangt. Der Replikantendesigner Wallace möchte das unmögliche Kind freilich unbedingt haben, um seinen Schöpfungen die letzte fehlende menschliche Fähigkeit hinzuzufügen. Bei der toten Schwangeren handelt es sich selbstverständlich um Rachael, und damit ist die Brücke zum Vorgängerfilm geschlagen. Als K herausfindet, dass seine Kindheitserinnerungen offenbar nicht künstlich sind, kommen ihm Zweifel an seiner eigenen Identität und er vermutet, selbst das verschollene Kind Rachaels und Deckards zu sein. Die Antwort auf seine Fragen erhofft er sich vom Flüchtigen Ex-Cop Deckard selbst, der in einem radioaktiv verwüsteten Las Vegas als Einsiedler haust. Da sämtliche Schritte Ks (später nennt er sich Joe) überwacht werden, sitzen ihm die Häscher schon nach kurzer Zeit im Nacken, und der Showdown lässt auch nicht lange auf sich warten ...
Da war es eigentlich schon zum Thema Plot - mehr ist es nämlich wirklich nicht. Fairerweise muss man dazusagen, dass die Geschichte des Vorgängers auch nicht komplexer war, und trotzdem fühlt sich "2049" über weite Strecken nicht wie eine eigenständige Story, sondern vielmehr wie ein nachgereichter Epilog zum 82'er Blade Runner an. Da der gealterte Harrison Ford wieder in die Rolle von Deckard schlüpft, musste der Zeitrahmen des Films satte dreißig Jahre in die Zukunft verlegt werden. Bedauerlicherweise sind die Szenen mit Ford, der erst nach anderthalb Stunden das erste Mal auftritt, nicht gerade die Glanzlichter des Films. So viel hat er nicht beizutragen, ja, die Geschichte hätte auch wunderbar ohne ihn funktioniert, ohne dass man etwas verpasst hätte. Ist die Katze, dass K eben nicht das Kind Deckards und Rachaels ist, erst mal aus dem Sack, bleibt leider nur noch eine sehr vorhersehbare Story übrig, die kaum Überraschungen bietet. Vieles Interessante wird höchstens angedeutet, aber weder weiter verfolgt noch gezeigt. Ein sich ankündigender Aufstand der Replikanten? Vielleicht im nächsten Film. Die große Begegnung Deckards mit seiner erwachsenen Tochter? Gibt's nicht zu sehen, da Abspann. Wenn darüber hinaus in einem heutigen Blockbuster plötzlich unmotiviert die Lichter abgeschaltet werden, sodass man keine Umgebung mehr erkennt, vermute ich mittlerweile regelmäßig massive Budgetknappheit. Anders kann ich mir jedenfalls nicht erklären, wieso der Endkampf zwischen K und der Killerin bei stockfinsterer Nacht in einem sinkenden Auto vor einer unsichtbaren Küste stattfinden musste. Auf der einen Seite gibt es geradezu gigantistische Panoramen und Kamerafahrten und dann diese Planscherei, die man in jedem privaten Gartenteich bei Nacht hätte drehen können. Blade Runner 2049 punktet sicherlich in Sachen Atmosphäre und visuellem Stil, verlässt sich meines Erachtens aber etwas zu sehr darauf, ohne seine Geschichte voranzubringen. Dazu kommt eine nicht zu verachtende Langsamkeit, die leider zu oft in Langatmigkeit umschlägt und am Ende für zweieinhab Stunden Laufzeit sorgt. Viel geschieht einfach nicht, und das, was passiert, ist häufig pures Füllwerk. Diesen Kritikpunkt kann man sicher auch dem Vorgänger ankreiden, aber dort fällt es im Gesamtwerk weniger negativ auf als hier. So fand ich die Szenen mit K und seiner holografischen Freundin eher nervig und verkitscht. Ihr späterer "Tod", der überdramatisch inszeniert wurde, hat mich wenig berührt. Sie ist nunmal nicht der Voyager-Holdoc, den man als richtige Person zu akzeptieren gelernt hat, sondern nur ein besseres Unterhaltungsgerät mit simulierten Emotionen. Auch das Wiedersehen mit Harrison Ford als Deckard hat mich eher kalt gelassen. Über das, was er und Rachael nach den Ereignissen des letzten Films zusammen erlebt haben, hätte ich gerne mehr erfahren, aber das gehört wohl in einen Film, der nie gedreht wurde. Da sitzt Deckard also nun seit Jahrzehnten völlig alleine in einem geradezu außerirdischen, verlassenen Las Vegas herum und hütet die große Hotelbar, bis endlich mal jemand vorbeischaut, mit der er anstoßen kann. Sein selbstgewähltes Exil in der Geisterstadt wirkt ziemlich unrealistisch, zumal es ihm offenbar an nichts fehlt, während sich der Rest der Menschheit von Insekteneiweiß ernähren muss ... Nach ein paar eher öden Dialogzeilen geht es auch gleich drunter und drüber, ein wenig Geballer und schon kann das Finale beginnen.
Niander Wallace (Jared Leto) gibt als Antagonist weder einen interessanten Bösewicht noch eine halbwegs interessante Figur ab. Seine Motive bleiben ständig im Unklaren. Wieso er seine selbst geschaffene Sklavenrasse mit der Fähigkeit zur Fortplanzung ausstatten will, erschließt sich mir nicht. Die abtrünnigen Replikanten erhoffen sich dadurch verständlicherweise die Anerkennung der Menschheit als gleichwertige Lebewesen. Müsste Wallace da nicht um sein einziges Kapital fürchten? Also was wolle Wallace? Der aus dem Vorgänger bekannte Subtext über die Grenzen der menschlichen Identität sowie die Reproduzierbarkeit von Menschlichkeit ("Menschlicher als der Mensch" lautete das frühere Motto von Tyrell) bekommt hier keinerlei neue Facette spendiert. Zu klar sind die Rollen aller Figuren von vornherein verteilt, zu vorhersehrbar der Konflikt. Dass Replikanten anscheinend Kinder mit "echten" Menschen bekommen können, wird als Sensation hingestellt, obwohl es das genau genommen gar nicht ist. Wer genetisch designte Übermenschen mit funktionierenden Gebärmüttern ausstattet (und sogar "Lustmodelle" anbietet), sollte bei einer auftretenden Schwangerschaft nicht aus allen Wolken fallen. Hier war der '82er Blade Runner mit seinen erkenntnistheoretischen Fragestellungen schon wesentlich weiter.
"Blade Runner 2049" ist wahrlich kein schlechter Film, aber in den Lobgesang der aktuellen Kritik kann ich nicht einstimmen. Dafür ist das Gezeigte über weite Strecken zu schnarchig und belanglos. Die Welt von Blade Runner hat weiterhin nichts von ihrer Faszination eingebüßt und könnte locker als Schauplatz zahlreicher spannender Geschichten dienen, doch diese gehört leider nicht dazu und will es offensichtlich auch nicht sein. Der Film gibt ein paar Antworten auf die Ereignisse nach dem großen Vorgänger, spart aber ständig das eigentlich Interessante aus oder deutet es allenfalls an. Trotz einer wirklich schönen Fassade - die aber nie ganz den mystisch-verzauberten Detailreichtum des Vorgängers erreicht - ist die ganze Geschichte einfach zu belanglos, zu wenig packend erzählt und oft blutleer-steril inszeniert. Große Emotionen kommen nicht einmal auf, als Deckard einer Rachael-Duplikantin begegnet, wofür offenbar eine digitale Sean Young aus dem Großrechner zusammengerendert wurde. Die Schauspieler machen ihre Sache allesamt gut, doch der Hase liegt leider eindeutig im Drehbuch begraben, auf das Ridley Scott vermutlich etwas zu viel Einfluss nehmen durfte. Noch mehr enttäuscht der Soundtrack, für den Villeneuve offensichtlich seinen Komponisten aus "Arrival" erneut verpflichtet hat. Bis auf wenige Szenen, in denen man Vangelis' melancholische Themen wenigstens grob wiedererkennen kann, stört "2049" oft mit einer dröhnenden Ambientsound-Kakophonie, die klanglich direkt aus "Arrivel" kopiert sein könnte. Das passt oft überhaupt nicht und hat mit Filmmusik über weite Strecken auch nichts zu tun.
Fazit:
Keine richtige eigenständige Geschichte, aber auch keine vollwertige Fortsetzung - eher ein buchstäblich müder, wenn auch schicker Nachgesang auf einen FIlm von 1982: Selbst mit sehr viel Fan-Bonus kann ich das nur als gehobenes Mittelmaß bewerten. Vielleicht habe ich ja mittlerweile eine Abneigung gegenüber Fortsetzungen von Klassikern nach drei Dekaden entwickelt, aber gebraucht hätte es auch diesen Film schlicht nicht. Ich hoffe, dass Denis Villeneuve bald wieder mit einer eigenständigen Filmproduktion von sich hören macht, statt den Aushilfsverfilmer für überhypte Fortsetzungen früherer Kultfilme zu machen.
Rezension: Blade Runner 2049
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Rezension: Blade Runner 2049
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Re: Rezension: Blade Runner 2049
Danke für Rezension.
Ich habe jetzt bewusst nur dein Fazit gelesen, weil ich erst den Film sehen will. Ganz allgemein ist es ärgerlich wenn man Fortsetzungen zu Kultfilmen nicht angemessen realisiert, dann lieber keine Fortsetzung.
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Re: Rezension: Blade Runner 2049
Gerne. Der Absatz davor ist übrigens auch noch sehr spoilersicher und für dich bestimmt interessant.Luke hat geschrieben:Danke für Rezension.
Ich habe jetzt bewusst nur dein Fazit gelesen, weil ich erst den Film sehen will. Ganz allgemein ist es ärgerlich wenn man Fortsetzungen zu Kultfilmen nicht angemessen realisiert, dann lieber keine Fortsetzung.
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Re: Rezension: Blade Runner 2049
Und damit soeben gelesen. Schade, denn gerade der Soundtrack hat beim Original viel zur Atmosphäre beigetragen. Aber davon unabhängig, als ich vor ein paar Jahren mal wieder das Original sah, musste ich feststellen, das dieser einen Grossteil seiner damaligen Faszination eingebüsst hat. Woran das liegt ist mir nicht so ganz klar. Aber, ich bin deutlich älter, das verändert Sichtweisen. Also wird es wohl das sein.
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Re: Rezension: Blade Runner 2049
Ja, der Soundtrack von Vangelis ist wirklich sehr stimmungsvoll, teilsweise in Musik gegossene Melancholie. In "2049" bekommt man dann z.B. so etwas:Luke hat geschrieben:Und damit soeben gelesen. Schade, denn gerade der Soundtrack hat beim Original viel zur Atmosphäre beigetragen.
Ein düsteres Gewummer mit synthetischem Gekreische. So etwas kann je nach Szene schon mal passen, aber im Gedächtnis bleibt es nicht.
Geschmäcker können sich ändern oder leicht verschieben, das ist nichts Ungewöhnliches. Hätte "Blade Runner" seine Wirkung auf mich verloren, wäre meine Rezension aber kaum anders ausgefallen. Es gibt ja durchaus auch objektive Maßstäbe, die man an einen Film, seine Inszenierung sowie das Drehbuch anlegen kann. Villeneuve macht ja auch eine Menge richtig und ist ein talentierter Regisseur. Grunsätzlich wünsche ich mir weitere ScFi-Filme von ihm. Ich finde aber, es sollte allmählich auch mal Schluss sein mit Fortsetzungen von einstigen Kultfilmen. Darsteller wie Harrison Ford tun sich auch keinen Gefallen damit, immer wieder in ihre alten Erfolgsrollen (Indiana Jones, Han Solo, Deckard) zu schlüpfen.Luke hat geschrieben:Aber davon unabhängig, als ich vor ein paar Jahren mal wieder das Original sah, musste ich feststellen, das dieser einen Grossteil seiner damaligen Faszination eingebüsst hat. Woran das liegt ist mir nicht so ganz klar. Aber, ich bin deutlich älter, das verändert Sichtweisen. Also wird es wohl das sein.
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Re: Rezension: Blade Runner 2049
Wobei er als Indi durchaus eine - zu seinem Alter passende - gute Rolle gespielt hat. Aber den Han hätte er sich verkneifen sollen.
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Re: Rezension: Blade Runner 2049
Indiana Jones ist natürlich noch mal etwas anderes, denn die Rolle ist/war Harrison Ford auf den Leib geschrieben. Er ist nun mal Indie - wer sollte ihn ersetzen? Die Story war allerdings trotzdem beknackt, und daran konnte auch Ford nichts mehr ändern ... Außerdem spielte er dort die unangefochtene, titelstiftende Hauptrolle. Bei Star Wars VII kommen einem schon Zweifel, ob es Han Solo wirklich gebraucht hat, und in Blade Runner ist Ford endgültig ein Relikt aus einer anderen Geschichte. Der Name allein macht den Film nicht besser; umgekehrt tut sich Ford mit dem FIlm keinen Gefallen. Einen alten Sack zu spielen, nur weil man als Darsteller inzwischen einer ist, macht eben keine tolle Rolle.Luke hat geschrieben:Wobei er als Indi durchaus eine - zu seinem Alter passende - gute Rolle gespielt hat. Aber den Han hätte er sich verkneifen sollen.
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