Retro-Blick III auf: "Blade Runner"

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Retro-Blick III auf: "Blade Runner"

Beitrag von Arrow »

Passend zum Kinostart von "Blade Runner 2049" geht's diesmal um ein ganz besonderes Adventure: "Blade Runner" aus dem Jahr 1997 von Westwood Studios. 1997 war die große Erfolgszeit der Adventures eigentlich schon vorbei, doch mit Blade Runner glückte Westwood noch mal ein faszinierendes Spiel, bevor das Studio von EA übernommen wurde. Die Cyberpunk-Welt von Ridley Scotts Meisterwerk ist geradezu prädestiniert für Noir-Detektivgeschichten, und Adventures sind dafür das passende Genre. Trotzdem hat es seitdem nie wieder einen Versuch gegeben, ein Spiel in dieser herrlich sytlischen, düsteren Welt zu veröffentlichen. Entsprechend besitzt Westwoods Titel inzwischen so etwas wie einen Kultstatus - und das aus vielen Gründen. Alles, was am Film bis heute begeistert, ist auch im Spiel enthalten: Design, Architektur, Soundtrack, Stimmung und Atmosphäre. Für alle, die schon immer einmal in das verregnete LA des Jahres 2019 eintauchen wollten, führt an an diesem Titel kein Weg vorbei.
Auf dem Parkdeck der LAPD-Zentrale.
Auf dem Parkdeck der LAPD-Zentrale.
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Im Point & Click-Adventure spielt ihr Ray McCoy, einen noch unerfahrenen Blade Runner des LAPD, der mit den Ermittlungen eines Tiermords betraut wird. Da Tiere nach dem 3. Weltkrieg so gut wie ausgestorben sind, stellt dies ein Kapitalverbrechen dar. Schnell wird klar, dass Replikanten für die Bluttat vearntwortlich waren, und tatsächlich sind einen Monat zuvor einige von ihnen mit einem Mondshuttle außerhalb der Stadt notgelandet. Die Handlung setzt kurz nach dem Beginn des Films ein, sodass man z.T. auf bekannte Figuren trifft. Die Ermittlungen führen McCoy an viele Schauplätze, die auch sein Kollege Deckard im Film aufgesucht hat, doch McCoys Fall verläuft ansonsten völlig unabhängig von dem Deckards. Schnell nimmt einen die einmalige Atmosphäre der Großstadt-Dystopie gefangen: ständig herrscht künstlich bleuchtete Nacht, der Regen fällt ununterbrochen, und die Vermischung von westlicher und ostasiatischer Kultur wird von Vangelis' bekannten Melodien untermalt. Schnell zieht der Kriminalfall weitere Kreise, noch ein Mord geschieht, und ihr sucht sogar das Firmenhauptquartier der Tyrell Corporation auf. Ähnlich wie im Film suchen die Nexus 6-Replikanten auf der Erde nach Möglichkeiten, ihre kurze Lebensdauer zu verlängern. Dass das nicht funktioniert, wissen wir seit dem Film. Was werden die Replikanten also tun? Fliehen oder verbrannte Erde hinterlassen?
Die aus dem Film bekannte Sushi-Bar besucht ihr natürlich auch ...
Die aus dem Film bekannte Sushi-Bar besucht ihr natürlich auch ...
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Das Spiel ist zwar ein P&C-Adventure, doch klassische Rätsel oder Kombinationsaufgaben werden hier nicht gelöst. Die Hauptaufgabe besteht aus der Suche nach Beweisen sowie ihrer Auswertung. Wie im Film benutzt man dafür den 3D-Bildbetrachter, um Aufnahmen von Überwachungskameras und Fotografien nach wichtigen Hinweisen zu untersuchen. Das geschieht entweder in der aus dem Film bekannten Polizeizentrale oder zu Hause in McCoys Apartment. Wie Deckard betreibt man also Bildforensik, wobei sämtliche gesammelten Spuren in eine Datenbank einsortiert werden. Um die unterschiedlichen Orte in LA aufzusuchen, steht euch ein fliegendes Auto (Spinner) zur Verfügung, den ihr über eine Stadtkarte navigiert. Während der Ermittlung gibt es zahlreiche Gespräche mit Zeugen oder Verdächtigen zu führen, wobei man zwischen unterschiedlichen Themen wählen kann. Welche das sind, hängt von euren gesammelten Hinweisen sowie euren zuvor gefällten Entscheidungen ab. Natürlich steht auch der berühmte "Voigt-Kampff-Test" zur Verfügung, bei dem ihr die Probanten mit unterschiedlichen Fragen im richtigen Mischungsverhältnis konfrontiert, um herauszufinden, ob sie Mensch oder Replikant sind. Der Clou des Spiels ist dabei ein Zufallsgenerator, der bei jedem Spielstart die identität (Mensch/Replikant) der NPCs neu auswürfelt. Das erhöht nicht nur den Wiederspielwert des ansonsten eher lineraren Spielverlaufs enorm, sondern stellt euch immer vor neue Herausforderungen.
Bei den Straßenhändlern sucht man nach Spuren replizierter Tiere.
Bei den Straßenhändlern sucht man nach Spuren replizierter Tiere.
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Ob ihr einen enttarnten Replikanten "in den Ruhestand schickt" oder gehen lasst, liegt dabei ganz bei euch. Es stehen also keine Knobeleien im Vordergrund, sondern die Entscheidungen, die ihr fällt. Diese bestimmen letztlich auch eure eigene Identität, denn genau wie im Film ist diese alles andere als gewiss. Die Geschichte des Spiels ist noch komplexer als Deckards Abenteuer in Scotts Film. Hier erfährt man wesentlich mehr über die dystopische Welt, wobei vieles, was im FIlm nur angedeutet war, ausführlicher behandelt wird. Neue Schauplätze gibt es ebenso zu erkunden. Dazu gehören Ausflüge in die giftgrün leuchtende Kanalisation der Stadt sowie in die radioaktiv verstrahlten Außenbereiche. Für etwas Action ist selbstverständlich auch gesorgt, denn in einigen Situationen könnt oder müsst ihr von der Schusswaffe Gebrauch machen. Dabei ist stets Eile geboten, denn viele Treffer verkraftet McCoy nicht. Mit drei Schwierigkeitsgraden nehmt ihr darauf Einfluss.
Voigt-Kampff-Maschine mit Reaktionsanzeige für den Identitätstest.
Voigt-Kampff-Maschine mit Reaktionsanzeige für den Identitätstest.
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Die zufälligen Personen-Identitäten und Ereignisse sowie eine gewisse Freiheit beim Aufsuchen des nächsten Schauplatzes sorgen dafür, dass sich das Spiel viel nicht-linearer anfühlt, als es tatsächlich ist. Ich habe es mittlerweile mehr als ein dutzendmal gespielt und wurde bislang immer wieder aufs Neue überrascht. Der Wiederspielwert ist entsprechend hoch, auch wenn man den groben Ablauf der insgesamt fünf Akte, in denen das Spiel unterteils ist, bereits zu Genüge kennt.
Das Spiel bietet sehr schön gerenderte, animierte Hintergründe, in denen ihr die Spielfigur bewegt. Verlasst ihr einen Bereich, wird nicht einfach zum nächsten Bild gewechselt, sondern es folgt meist eine elegante, flüssige Kamerafahrt in die neue Perspektive bzw. den neuen Bereich. Figuren und Items werden in Voxelgrafik dargestellt, die optisch leider deutlich einbricht. Zwischendurch gibt es immer wieder schicke Rendervideosequenzen im Stil der Command & Conquer-Reihe. Selbst heute macht die Grafik auf HD-Bildschirmen im Vollbildmodus noch eine ziemlich gute Figur. Die deutsche Lokalisierung verdient ganz besonderes Lob. Hochkarätige, teils bekannte Synchronstimmen aus Film unf Fernsehen bis in jede Nebenrolle hinein sind selbst heute noch keine Selbstverständlichkeit. So etwas würde man sich viel öfter wünschen!
Auf dem eigenen Balkon. Immer derselbe Anblick ...
Auf dem eigenen Balkon. Immer derselbe Anblick ...
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Ob Ray McCoy nun ein Mensch oder ein Replikant ist, hängt ebenso von den getroffenen Entscheidungen ab. Die Geschichte ist so entworfen, dass beide Indentitäten jeweils (größtenteils) glaubwürdig und stimmig erscheinen. Liquidiert man gnadenlos alle überführten "Hautjobs", erscheint der Verdacht, selbst einer von ihnen zu sein, am Ende nur als ein geschicktes Täuschungsmanöver. Wählt man den entgegengesetzten Weg, verschont alle und schließt sich dem Anführer an, war man eben immer ein Replikant, der einen echten Cop samt seiner Erinnerungen ersetzt hat. Zwischen diesen beiden extremen Routen gibt es jedoch, je nach zufallsbedingten Vorraussetzungen, weitere Möglichkeiten. Natürlich ist auch eine Romance möglich - wie im Film. Insgesamt zwölf verschiedene Endsequenzen sollen erspielbar sein, von denen ich bisher allerdings noch nicht mehr als sieben erlebt habe. Der Zufallsgenerator scheint einige Möglichkeiten schon bei Spielbeginn auszuschließen, sodass die zwölf Enden nur den theoretischen Maximalwert in sämtlichen möglichen Zufallskonstellationen darstellen. So bleibt mir persönlich also immer noch etwas zu entdecken übrig. Vielleicht habe ich die restlichen Auflösungen ja nach noch einmal 20 Jahren entdeckt ...
Das vergammelte Bradbury-Gebäude vor eindrucksvoller Kulisse.
Das vergammelte Bradbury-Gebäude vor eindrucksvoller Kulisse.
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Westwoods letzter Titel vor der Übernahme durch EA ist ein großartiges Adventure und eine der besten Filmadaptionen, die es gibt. Das Szenario um Ray McCoy könnte problemlos Gegenstand einer eigenständigen Verfilmung sein. Leider ist der Titel zurzeit nur gebraucht erhältlich und steht bei GoG.com schon seit Jahren auf der Wunschliste der Spieler. Fans haben inzwischen einen Installer für 64 Bit-Systeme erstellt, sodass viele die Box mit den insgesamt vier CDs wieder hervorkramen können. Bleibt zu hoffen, dass GoG "Blade Runner" eines Tages doch noch in sein Angebot aufnehmen wird. Ein toller moderner Klassiker! :yes: :yes: :yes:
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Re: Retro-Blick III auf: "Blade Runner"

Beitrag von Luke »

Arrow hat geschrieben:Das Spiel ist zwar ein P&C-Adventure, doch klassische Rätsel oder Kombinationsaufgaben werden hier nicht gelöst. Die Hauptaufgabe besteht aus der Suche nach Beweisen sowie ihrer Auswertung.
Und das war glaube ich der Grund warum ich es mir nicht geholt habe damals, als ich den Testbericht dazu las. Das erschien mir von der Beschreibung her mehr wie ein interaktiver Film und das war nie mein Ding. Oder tue ich dem Unrecht?
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Re: Retro-Blick III auf: "Blade Runner"

Beitrag von Arrow »

Luke hat geschrieben:Und das war glaube ich der Grund warum ich es mir nicht geholt habe damals, als ich den Testbericht dazu las. Das erschien mir von der Beschreibung her mehr wie ein interaktiver Film und das war nie mein Ding. Oder tue ich dem Unrecht?
Ja und nein. Es ist zwar ein Point & Click-Advendure, aber Interaktion mit Gegenständen wie in klassischen Adventures gibt es hier außer dem Einsammeln nicht. Du hast zwar eine Art Inventar, doch das dient nur zur Auflistung und Einordnung der Puzzelteile -, quasi eine Beweis-Datenbank deines Falls. Andererseits ist das Spiel zwar durchaus filmreif inszeniert, wird jedoch nicht zu einem reinen interaktiven Film, denn es gibt nur sporadisch eingestreute Filmsequenzen zwischen den verschiedenen Akten. Man schaut sich also nicht dauernd Cutscenes an, sondern muss sich schon viel durch die Landschaft bewegen. Der Schwerpunkt liegt klar auf der Interaktion mit den NPCs, die vom Spiel bei jedem Start mit anderen Identitäten ausgestattet werden. Hier machen es vor allem die Dialoge sowie die moralischen Entscheidungen aus - große Emotionen und Stimmung inklusive. Obwohl der Verlauf der Story sehr linear ist, ist das Spiel trotzdem jedesmal wieder anders. Ich finde es stets aufs Neue ein tolles Erlebnis, und die fantastische Umsetzung der originalen Filmwelt zieht einen wirklich in seinen Bann.
Zu schade, dass "Blade Runner" noch nicht bei GoG aufgetaucht ist, wo es hingehört. Für kleines Geld würde ich es dir zum Ausprobieren nämlich empfehlen. Um einen besseren Eindruck zu bekommen, könntest du mal in eines der zahlreichen Let's Plays auf YT reinschauen. Da wirst du schnell sehen, ob es dich reizt oder nicht.

PS
Versuch's mal hier.
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